Charlotte Haußmann ist Soziologin und arbeitet auf Grundlage von Daten des Youth Survey Luxembourg seit Oktober 2023 als Promotionskandidatin zum Thema Einsamkeit von Jugendlichen am Centre for Childhood and Youth Research.
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Charlotte, warum erforschst du das Thema Einsamkeit von Jugendlichen?
Ich beschäftige mich mit Einsamkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Mein Fokus liegt dabei auf jungen Menschen zwischen 12 und 29 Jahren. Das ist besonders interessant, weil diese Altersgruppe neben älteren Menschen die höchsten Einsamkeitswerte aufweisen.
Man weiß jetzt aus verschiedenen Umfragen aus anderen Ländern wie Deutschland oder auch Großbritannien, dass vor allem alte Menschen und sehr junge Menschen Probleme mit sehr hohen Einsamkeitswerten aufweisen. Diese Menschen sagen von sich am häufigsten: „Ich fühle mich oft einsam.“
Ich möchte Einsamkeit im Zusammenhang mit der Mediennutzung von Jugendlichen erforschen: Wie verhalten sich Jugendliche im Internet, wie benutzen sie es und welchen Einfluss haben zum Beispiel „soziale“ Medien auf Einsamkeit?
Das heißt, da ist noch eine Forschungslücke offen?
In der Einsamkeitsforschung, vor allem aus psychologischer Sicht und auch aus soziologischer Sicht, wird meistens der Fokus auf ältere Menschen gelegt. Das hat den Grund, dass vor allem der Übergang zur Pension ein kritisches Erlebnis ist, wo Leute ihre ganze Struktur im Alltag verlieren und vor allem durch Verstädterung viele Leute wieder allein wohnen oder weil der Partner stirbt.
Auch Jugendliche haben in ihrem Leben an einem gewissen Punkt mit Übergängen zu tun. Das Interessante ist, Jugendlichen wird Einsamkeit nicht so gern zugeschrieben. Denn Jugendlich-Sein, das heißt für viele ja, irgendwie frisch und agil zu sein, offen in die Welt zu schauen, und viele Dinge ausprobieren zu wollen.
Mehr zu Übergängen erfahren: Jugendbericht 2015
Dass so eine Haltung aber auch mit hohen Kosten einhergeht, bleibt in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit häufig unbeachtet. Für Jugendliche können Übergänge, wie zum Beispiel ein Umzug, bestehende Freundschaften und vertraute Netzwerke kosten, die dabei verlorengehen. Wer für den ersten Arbeitsplatz oder fürs Studium in eine andere Stadt zieht, findet dort vielleicht zunächst keinen Anschluss. Das hat so ein gewisses Tabu, weil es dem Vorurteil widerspricht, Jugendliche seien immer zu Veränderungen, Abenteuern und Abwechslung aufgelegt.
Wann spricht man eigentlich von „Einsamkeit“? Woran wird das festgemacht?
Wichtig wäre der Hinweis darauf, dass Einsamkeit ein Gefühl ist. Ich kann viele Freunde haben und sozial gut eingebettet sein: Ich habe vielleicht einen Partner, ich habe vielleicht ein Kind, ich habe einen Job, ein Studium, und kann mich dennoch einsam fühlen. Umgekehrt kann ich auch von weniger Menschen umgeben sein und mich trotzdem nicht einsam fühlen.
Die Forschung zeigt aber auch, dass die Anzahl der sozialen Kontakte mit dem Gefühl von Einsamkeit korreliert: Leute, die weniger soziale Kontakte haben, fühlen sich auch häufiger einsam. Letztlich geht es aber um die Präferenzen, das heißt: „Was will ich als Mensch?“.
Es gibt Leute, die mögen einfach weniger soziale Kontakte und fühlen sich deswegen nicht einsam. Das ist auch voll in Ordnung, aber die Leute, die sich trotz sozialem Kontakt einsam fühlen, erleben einen mismatch zwischen ihren Bedürfnissen und dem, was sie tatsächlich im Alltag erleben. Einsamkeitsgefühle weisen dann eigentlich auf unerfüllte Bedürfnisse hin. Man spricht dann auch von sozialer Isolation.
Junge Menschen aus aller Welt kommen für ihren Berufseinstieg auf den Luxemburger Arbeitsmarkt. Inwiefern spielt Einsamkeit für sie eine Rolle?
Es gibt in Bezug auf Migrationshintergrund, sehr wenige Studien. Das wird auch Teil meiner PhD-Dissertation sein, hier weiter reinzuschauen, welchen Einfluss die Migrationsgeschichte hat.
Über das Thema „Einsamkeit“ bin ich tatsächlich zufällig gestolpert, als ich auf Reddit Posts von Leuten las, die frisch nach Luxemburg gekommen oder schon länger hier waren. Darin beschrieben viele: „Ich finde hier keinen Anschluss in der Gesellschaft. Ich weiß nicht, wie ich mich besser integrieren kann, wie ich Freunde finden kann“. Das fand ich interessant und es ist auch Teil meines Projekts zu erforschen, inwieweit Migrationsgeschichte bei Jugendlichen einen Einfluss auf Einsamkeitsgefühle hat.
Die meisten sagen, man muss hier in der luxemburgischen Gesellschaft viel auf Vereine setzen, also wirklich den strukturierten, institutionell angelegten Angeboten nachgehen, um neue Bekanntschaften und Freundschaften zu schließen. Dabei empfehlen die wenigsten offenere Settings wie etwa, Leute im Café oder in der Kneipe kennenzulernen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Einsamkeit von Jugendlichen und ihrer Mediennutzung?
Es gibt wenige Studien dazu. Was man bisher weiß, ist, dass die Motive ausschlaggebend sind. Aus welchem Grund nutze ich soziale Medien oder das Internet? Nutze ich es vielleicht, um mich auszutauschen, um Informationen zu suchen, um aktiv auch Freundschaften zu pflegen? Das ist möglicherweise interessant für Leute mit Migrationsgeschichte, die sagen ich nutze social-media-Anwendungen hauptsächlich, um mit Freunden oder Verwandten in meinem Heimatland Kontakt zu haben.
Gut zu wissen: Der Jugendbericht 2025 nimmt die Digitalität von Jugendlichen genauer unter die Lupe.
Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass Onlinekontakte die realen Begegnungen mit anderen Menschen nicht ersetzen. Dass sie also Einsamkeitsgefühle weniger effektiv lindern. Da geht es dann auch um körperliche Einsamkeit. Dieser Begriff bedeutet, dass Jugendliche einfach physischen Kontakt suchen und, dass sie das zum Beispiel durch „soziale“ Medien nicht bekommen.
Studien zeigen auch: Wer social media nutzt, um aktiven Austausch mit anderen zu suchen, kann so Einsamkeitsgefühle effektiv reduzieren. Wenn Leute das Internet allerdings hauptsächlich benutzen, um sich zu vergleichen, um sich abzulenken oder um durch doom scrolling mit einer persönlichen oder gesellschaftlichen Krise fertigzuwerden, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die eigenen negativen Gedanken durch den Algorithmus auf den Plattformen verschärft und Einsamkeitsgefühle so begünstigt werden.
Wie verhält sich deine Forschung zum Thema Problematischer Social-Media-Nutzung, die hier am Institut auch schon erforscht wurde?
Als Soziologin interessiere ich mich mehr für das gesamtgesellschaftliche Konstrukt, und weniger für die psychologische Abfolge. Klar gibt es einen großen psychologischen Anteil in meiner Dissertation, aber was ich soziologisch erforschen möchte, ist, wie und ob Einsamkeitsgefühle (oder das Gefühl isoliert zu sein) zu einer bestimmten negativen Bewertung der Gesellschaft und letztlich zu Demokratiefeindlichkeit führen. Es gibt Hinweise darauf, dass das Vertrauen in Institutionen sinkt, weil man sich so abgeschottet und abgehängt von der Gesellschaft fühlt. Und das ist für mich als jemand, der Demokratiestärkung am Herzen liegt, sehr interessant.
Gut zu wissen: Problematische Social-Media-Nutzung wurde schon im Rahmen der HBSC-Studie 2018 erforscht.
Auch von politischer Partizipation kann man in dieser Hinsicht sprechen, also wenn Leute sich immer einsamer fühlen und sich dadurch aus den politischen Prozessen unserer Gesellschaft zurückziehen: Wie erreiche ich diese Jugendlichen, um wieder aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen? Was braucht es für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft? Und da ist Einsamkeit leider gerade noch ein Thema, dass zu wenig von Soziologen diskutiert wird.
Wie hältst du dein Dissertationsprojekt im Rahmen des Machbaren?
Ich kann leider Pendler nicht in meiner Forschung abbilden, weil diese jungen Erwachsenen am Youth Survey Luxembourg in der Regel nicht teilnehmen können. Wir erreichen damit nur Leute, die wohnhaft und gemeldet in Luxemburg sind. Wer für aus dem grenznahen Ausland für die Arbeit nach Luxemburg pendelt, wird durch unseren Survey leider nicht repräsentiert.
Wie genau der Youth Survey Luxembourg funktioniert, hier weiterlesen.
Ich kann auch bestimmte kausale Zusammenhänge nicht nachvollziehen, weil ich die Daten des Youth Survey Luxembourg einen Querschnitt abbilden. Das heißt, ich habe nur Beobachtungen zu einem Zeitpunkt. Ich werde nicht sagen können, mehr Mediennutzung führt zu der Einsamkeit oder umgekehrt. Ich kann sagen, dass Zusammenhänge da sind, aber wahrscheinlich nicht in welche Richtung, also was ist Henne und was ist Ei, was ist als erstes da? Das wird man so nicht rausfinden.
Warum sollten wir in Luxemburg mehr über Einsamkeit von Jugendlichen wissen?
Ich glaube, dass Einsamkeitsgefühle ein unterschätztes Thema sind. Denn sie korrelieren stark mit Mental Health, sowie anderen psychologischen Problemen, die auch langfristig entstehen können. Man weiß auf sehr vielen Studien, das ist vor allem von der Psychologie besetzt, dass Einsamkeit zu psychologischen Problemen führt: schlechterer Schlaf, schlechtere Ernährung, Fettleibigkeit, weniger Bewegung.
Weiterlesen: Rezente Erkenntnisse der HBSC-Studie zur mentalen Gesundheit.
Leute bekommen eine negative Grundhaltung wenn sie zu lange einsam sind: Sie können dann gar nicht mehr offen auf Menschen zugehen, auch wenn sie die Möglichkeit dazu hätten, weil sie alles von vornherein negativ bewerten. Man weiß aus sehr vielen Studien, dass man sich durch Einsamkeit noch mehr abschottet, das ist wie eine Spirale die einen immer tiefer sinken lässt.
Vor allem durch den Trend zu diverseren Lebensläufen besteht die Gefahr, Menschen aus sowieso schon vulnerablen Gruppen noch mehr zu verlieren. Da wäre es sinnvoll, gezielt Begegnungsräume zu schaffen und vor allem jungen Menschen die Möglichkeit bietet, sich ohne soziale Zwänge oder ohne sich Gedanken zu machen („Wie komme ich jetzt gerade an?“), die Möglichkeit zu geben, sich auszutauschen, sich auch kennenzulernen. Und, vielleicht gerade für Luxemburg interessant, den Austausch zwischen den Kulturen herzustellen.
Welche Maßnahmen gegen Einsamkeitsgefühle gibt es?
Ich weiß, dass es in Luxemburg ein großes Angebot für Jugendliche gibt, zum Beispiel Jugendhäuser oder auch bestimmte Treffpunkte für Jugendliche, auch Sportvereine haben einen großen Anteil daran. Es gibt andere europäische Länder, die jetzt ganz konkret politische Maßnahmen beschlossen haben, die Strukturen schaffen wollen. Und ich kann mir vorstellen, dass das perspektivisch in Luxemburg auch umgesetzt wird.
Weiterlesen: aus unserer Forschung zu den Jugendhäusern.
Gerade Deutschland hat dieses Jahr im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den Fokus auf Einsamkeit gelegt, Großbritannien, Japan und auch Australien haben eigene Einsamkeitsminister, die sich darum kümmern, Einsamkeitsgefühle in der Bevölkerung zu reduzieren. Dies vor allem durch kleine Netzwerke in ländlichen Regionen, wo Leute die Möglichkeit haben, sich zu treffen.
Und was ein neuer Trend vor allem von jungen Menschen ist, der ist ganz interessant: Es werden über social media Spaziergänge organisiert, wo sich Leute, die neu in einer Stadt sind oder auch schon länger dort sind, sich treffen können und einfach zusammen spazieren gehen und reden. Manche folgen dafür zum Beispiel diesen Hashtags: #talkandwalk #girlstalkingwalking #girlstalkingandwalking.
Das Interview führte Moritz Höpner für das Centre for Childhood and Youth Research (CCY).